!!! WICHTIGE MITTEILUNG !!!

Zu vorgenannter Haubelt GmbH Laborgeräte-Entscheidung habe ich ergänzend noch folgende „Nachtretter-Entscheidung“ (vgl. BPatG, Beschl. v. 19.07.2021, Az. 26 W (pat) 16/20 – Nachtretter) gefunden, in der sich der Widersprechende ebenfalls auf ein zeitlich älteres Unternehmenskennzeichen gestützt hatte, allerdings sein Geschäft vor Anmeldung der zeitlich jüngeren Marke bereits aufgegeben hatte und deswegen das Widerspruchsverfahren verlor.

In den Entscheidungsgründen heißt es wie folgt:

„ee) Der Widersprechende hat jedoch weder dargelegt noch nachgewiesen, dass sein Unternehmenskennzeichen im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke, am 19. November 2018, noch bestanden hat.

aaa) Wie die Firma sind auch die anderen Unternehmenskennzeichen in Entstehung und Fortbestand an ein konkretes lebendes Unternehmen gebunden (Akzessorietätsprinzip: …). Die prioritätswahrende Erhaltung des Kennzeichenschutzes nach § 5 Abs. 2 Satz 1 MarkenG setzt daher grundsätzlich die Fortbenutzung des Kennzeichens für das Unternehmen oder den Geschäftsbetrieb voraus, für den der Schutz begründet worden ist. Der Schutz endet mit der endgültigen Aufgabe des Kennzeichengebrauchs bzw. mit der endgültigen Aufgabe des Geschäftsbetriebs (…). Einer Betriebsaufgabe steht eine wesentliche Änderung des Betriebs gleich, die dazu führt, dass der Verkehr den neuen Betrieb nicht mehr als Fortsetzung des alten ansieht. Ausnahmsweise geht der Schutz nicht verloren, wenn der Geschäftsbetrieb nur zeitweise stillgelegt wird, jedoch in seinem für die Wiedereröffnung wesentlichen Bestand erhalten bleibt und die Absicht sowie die Möglichkeit bestehen, ihn innerhalb eines solchen Zeitraums fortzusetzen, dass die Stilllegung nach der dafür maßgeblichen Verkehrsauffassung noch als vorübergehende Unterbrechung erscheint (…). Die Frage, ob eine nur vorübergehende Nutzungsunterbrechung vorliegt, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Hierfür sind der Zeitraum, der Umfang und die Umstände der vorherigen Verwendung der Kennzeichnung sowie die Dauer und der Grund der Unterbrechung von Bedeutung sowie der Umstand, ob sich der Fortsetzungswille in entsprechenden Handlungen manifestiert hat oder aufgrund besonderer Umstände für den Verkehr nahelag (…).

bbb) In der Gesamtschau aller Umstände ist davon auszugehen, dass der Widersprechende seinen „Vertrieb von Lebensmitteln zur Nachtzeit“ unter dem Unternehmenskennzeichen „Nachtretter“ mit Wirkung zum 1. Mai 2016 endgültig aufgegeben hat.

(1) Es ist unstreitig, dass der letzte Eintrag des Widersprechenden auf seiner Facebookseite am 25. April 2016 erfolgt ist und folgenden Inhalt hat: „!!! WICHTIGE MITTEILUNG !!! Nach über 6 Jahren ist das kommende Wochenende das vorerst letzte Nachtretter-Wochenende! Vom 30.4. auf den 1.5. von 20 bis 5 Uhr liefern wir das letzte Mal! Aufgrund eines sehr reizvollen und interessanten Jobangebotes mit familienfreundlicheren Arbeitszeiten haben wir uns dazu entschieden Nachtretter aufzugeben. Wir bedanken uns bei Euch allen … für Eure über 6-jährige Treue! … DANKE, DANKE, DANKE!!! Macht´s gut. EURE NACHTRETTER“. Auch wenn in dieser Mitteilung anfangs das Wort „vorerst“ verwendet wird, kommt doch danach und mit der klaren und unwiderruflichen Verabschiedung von den Kunden deutlich zum Ausdruck, dass der Geschäftsbetrieb „Vertrieb von Lebensmitteln zur Nachtzeit“ aus einem nachvollziehbaren Grund, nämlich wegen „eines sehr reizvollen und interessanten Jobangebotes mit familienfreundlicheren Arbeitszeiten“, zum 1. Mai 2016 ab 5:01 Uhr eingestellt worden ist.

(2) Die Facebookseite des Widersprechenden ist zudem unstreitig seit dem 1. Mai 2016 nicht mehr aktiv betrieben worden. Er trägt selbst vor, dass er sein – ursprünglich angemeldetes – Gewerbe umgemeldet habe, wofür auch die Einnahmenüberschussrechnung für 2016 spricht, in der er erstmals als Betriebsnamen nicht „Nachtretter“, sondern nur seinen Familiennamen und als Art des Betriebs „Web Design“ angegeben hat. Dass er gleichzeitig mehrere, voneinander unabhängige Gewerbe betrieben hat, hat er nicht einmal behauptet. Er hat nach 2015 auch keine weiteren Einnahmenüberschussrechnungen für seinen Nachtretter Lieferservice vorgelegt und nicht bestritten, dass die Domain www.nachtretter.de seit Mitte 2016 lediglich auf seine Internetseite www.netretter.de weiterleite. Die Domain www.nachtretter.de hat daher ausschließlich als Platzhalter fungiert. Werden keine nach außen tretenden geschäftlichen Aktivitäten entwickelt, reicht allein die Innehabung einer Internetadresse nicht aus, um den Fortbestand eines Unternehmens und des dazugehörenden Unternehmenskennzeichens nachzuweisen (…). Ferner hat der Widersprechende weder vorgetragen, dass er seinen unter dem Unternehmenskennzeichen „Nachtretter“ geführten Geschäftsbetrieb für eine Wiedereröffnung in seinem wesentlichen Bestand erhalten, noch dass er dessen Fortsetzung zu einem späteren Zeitpunkt geplant habe. Entsprechende Handlungen, in denen sich ein solcher Fortsetzungswille manifestiert haben könnte, sind ebenfalls nicht erkennbar. Aufgrund dieser unstreitigen Tatsachen kann nicht nur von einer zeitweisen Stilllegung bzw. vorübergehenden Unterbrechung des Nachtretter Lieferservice, sondern muss von einer endgültigen Geschäftsaufgabe ausgegangen werden.

ccc) Selbst wenn aber der Geschäftsbetrieb seit Mai 2016 nur geruht hätte, hat der Widersprechende diesen Geschäftsbetrieb vor dem maßgeblichen Anmeldezeitpunkt, dem 19. November 2018, nicht wieder aufgenommen.

(1) Seine Behauptung, er habe im ersten Halbjahr 2018 noch selbst zwei Lieferungen getätigt, ist unsubstantiiert, weil er nicht vorträgt, wann genau er welche Kunden mit welchen Waren beliefert und in welcher Höhe er Einnahmen erzielt hat. Soweit es auf der am 25. November 2018 abgerufenen Facebookseite „Nachtretter“ heißt: „Nachtretter ist seit dem 11. März 2010 der Nachtlieferservice für H…, I… und M…. Nach einer zweijährigen Pause sind wir ab dem 27. September 2018 wieder erreichbar.“ handelt es sich nur um eine Ankündigung, deren Umsetzung nicht belegt ist. Dazu fehlen die Einnahmenüberschussrechnung und der Steuerbescheid für das Jahr 2018 sowie Rechnungen an Kunden oder Korrespondenzen unter Verwendung des Unternehmenskennzeichens „Nachtretter“ aus diesem Jahr, die für eine Fortdauer der wirtschaftlichen Betätigung sprechen könnten (…). Gegen eine Fortführung seines Getränkelieferservices „Nachtretter“ ab September 2018 spricht auch, dass die Rechnungen an die Beschwerdegegner vom 1. Oktober und 5. November 2018 vom Widersprechenden unter der Unternehmensbezeichnung „Netretter.de social webdesign media“ ausgestellt sind.

(2) Eine Wiederaufnahme kann auch nicht in der behaupteten Lizenzvereinbarung mit den Beschwerdegegnern gesehen werden. Seine Behauptung, die Beschwerdegegner hätten ab Ende September 2018 aufgrund einer Lizenz- bzw. Nutzungsvereinbarung von August 2018 sein Unternehmen „Nachtretter“ wiedereröffnet, wozu er ihnen gegen einen Monatsbetrag von 150 € seine Webseite unter der Domain www.nachtretter.de, seine Facebookseite „Nachtretter“, sein Logo „Nachtretter“ und seinen Unternehmensnamen zur Verfügung gestellt habe, ist von den Beschwerdegegnern bestritten worden. Der Widersprechende hat weder die Lizenzvereinbarung vorgelegt, noch kann der Korrespondenz zwischen den Verfahrensbeteiligten vom 18. Juli 2018 und den beiden Rechnungen vom 1. Oktober und 5. November 2018 eine solche Nutzungsvereinbarung entnommen werden. Mit der als Anlage 3 zum Schriftsatz vom 31. Januar 2020 vorgelegten Korrespondenz zwischen den Verfahrensbeteiligten lässt sich auch nicht die Behauptung belegen, die Beschwerdegegner hätten am 12. November 2018 mit der Begründung, sich die vereinbarten monatlichen Beträge nicht mehr leisten zu können, die Nutzungsvereinbarung gekündigt. Das Unternehmenskennzeichen des Widersprechenden hat im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke daher nicht mehr bestanden.“

BPatG, Beschl. v. 19.07.2021, Az. 26 W (pat) 16/20 – Nachtretter
Share