Smiley Hilde lacht nimmer
Nachfolgende unter anderem für „Speiseeis“ und „Biere“ eingetragene „Hl. Hildegard“-Marke verstößt gegen die guten Sitten (§ 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG) und ist zu löschen (BPatG, Beschl. v. 28.03.2012, Az. 28 W (pat) 81/11 – Hl. Hildegard). In den Entscheidungsgründen heißt es auszugsweise wie folgt:
„Die – wie die Markeninhaberin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt und an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass hat – aus Kinderhand stammende Zeichnung ist für sich allein betrachtet nicht anstoßerregend. Unter Außerachtlassung des Wortbestandteils der Marke ist noch nicht einmal klar feststellbar, was überhaupt dargestellt werden soll. Während die Markeninhaberin in der Zeichnung einen kindlich personifizierten Brotlaib sehen möchte, geht die Löschungsantragstellerin davon aus, dass es sich um die Abbildung einer lächelnden und leuchtend in einem Sarg liegenden Figur handelt. Der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher, auf den maßgeblich abzustellen ist (…), nicht auf den flüchtigen und völlig uninformierten Empfänger (…), wird in der Mitte der Graphik jedenfalls einen Kreis nach Art eines „Smileys“, die graphische und symbolhafte Darstellung eines lächelnden Gesichtsausdrucks erkennen, sowie einen Strahlenkranz und angedeutete Hände und Füße.
c) Die Anstoß erweckende Bedeutung der Wort-/Bildmarke ergibt sich aus dem Einbindungszusammenhang der Graphik und der Zusammenschau mit der Wortunterschrift „Hl. Hildegard“. Hierdurch wird ein Bezug zu der Person der Heiligen Hildegard von Bingen hergestellt. Diese Art der Darstellung wird der Person der Hildegard von Bingen, ihrem Leben und Wirken und auch ihrer Bedeutung als Heilige nicht gerecht. Vielmehr entstellt sie und erhält damit den Charakter einer Karikatur. Im Zusammenhang mit dem Wortzusatz „Hl. Hildegard“ geht der Verbraucher davon aus, dass das Bild die Heilige Hildegard von Bingen darstellt, die einen Habit, die Ordenstracht ihrer Ordensgemeinschaft, trägt, und deren Gesicht durch einen – die Darstellung prägenden – lachenden Smiley und deren Hände und Füße nur stummelartig angedeutet werden. Der Aussagegehalt der kreisförmig vom Kopf der Figur wegstrebenden acht Linien ist für den aufmerksamen Durchschnittsverbraucher nicht ganz klar. Möglicherweise wird er diese angesichts der Tatsache, dass Hildegard von Bingen als Heilige („Hl.“) verehrt wird, als Heiligenschein interpretieren.
Die Verwendung dieser Karikatur der Heiligen Hildegard als Marke ist geeignet, das religiös geprägte Verhältnis zu beeinträchtigen, das gläubige Verbraucher zu der Heiligen pflegen, und damit das religiöse Empfinden dieser Verbraucher zu verletzen. Von Bedeutung ist hier, dass der von Gläubigen in Form von Gebeten, Heiligenbildern oder Weihegaben (z. B. Kerzen, Briefe, Votivbilder etc.) – auch für den Durchschnittsverbraucher sichtbar – praktizierte Heiligenkult Ausdruck einer zutiefst religiösen Haltung ist (vgl. Annemarie Gronover, in: Metzler Lexikon Religion, Gegenwart-Alltag-Medien, Band 2, Stichwort „Heiligenkult“). Im übrigen haben auch die Kreise, die sich weniger aus Gründen des Glaubens als aus Gründen der Esoterik mit den Lehren der Hildegard von Bingen und in Kenntnis ihres Wirkens für mit ihrem Namen bezeichnete Produkte interessieren, hierfür kein Verständnis. Leben und Wirken der Heiligen Hildegard und ihre Verehrung als Heilige sind dem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der beanspruchten Waren, zu denen Lebensmittel, Gewürze, Genussmittel und Getränke (auch alkoholische) gehören, bekannt. Dies und auch ihre Lehren zu der heilenden Funktion von Nahrungsmitteln sind in jüngster Zeit durch Berichte in auflagenstarken Wochenmagazinen (z. B. im Magazin Focus am 8. Januar 2007 in dem Artikel „Hildegard-Medizin, Die fünf Säulen der Gesundheit, Magazin“) oder im Jahr 2009 auch durch den Kinofilm von Margarethe von Trotta „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ im Inland breiten Verkehrskreisen zumindest in den wesentlichen Grundzügen nahegebracht worden, zum 900. Geburtstag der Hildegard von Bingen gab es gar eine Sonderbriefmarke.
Hildegard von Bingen war eine ernstzunehmende Persönlichkeit und Heilige und eine Frau von großer Bedeutung, was nicht zuletzt auch in dem Kinofilm eindrucksvoll zum Ausdruck kommt. Das angesprochene Publikum, dass das Zeichen beim Einkauf oder Verbrauch auf der Verpackung der vorgenannten Waren betrachtet, wird sich deshalb fragen, aus welchem Grund die dargestellte Heilige Hildegard von Bingen im Zusammenhang mit diesen Waren piktogrammartig „grinst“, warum sie nicht angemessen als Gelehrte oder Heilige dargestellt ist, sondern in einer Art Karikatur. Gläubige, die Hildegard von Bingen wegen ihres Lebens und ihrer Lehren als Heilige verehren, fühlen sich durch die Art der Darstellung im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren in ihrem religiösen Empfinden verletzt. Diese werden das von der Markeninhaberin und der Markenstelle betonte Positive der Darstellung nicht sehen, sondern nur die – bestenfalls nicht beabsichtigte, im Kreis der Gläubigen aber als solche empfundene – Respektlosigkeit, die in der mit schnellen Strichen angefertigt wirkenden Zeichnung der Heiligen Hildegard zum Ausdruck kommt. Die Marke ist wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen und mithin zu löschen.“