Bundespatentgericht (BPatG), Beschl. v. 18.11.2008, Az. 25 W (pat) 81/06 – ROVAMYCINE/Roximycin

Leitsatz

Trotz einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchs­marke und identischen Waren der Klasse 5, besteht zwischen den Zeichen „ROVAMYCINE“ und „Roximycin“ keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.

Aus den Entscheidungsgründen

Der Senat gehe bei seiner Entscheidung zunächst von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchs­marke in ihrer Gesamtheit aus.

Zugunsten der Widersprechenden könne weiterhin ohne nähere Prüfung der Be­nutzungslage unterstellt werden, dass beide Marken sich auf identischen Waren begegnen können. Dies dürfte im Übrigen aber auch der tatsächlichen Benut­zungslage entsprechen. Die Widerspruchsmarke werde für ein „rezeptpflichtiges Antibiotikum mit dem Wirkstoff Spiramycin“ benutzt. Im Rahmen der Integrationsfrage sei zugunsten der Widersprechenden aufgrund der „erweiterten Minimallösung“ von Antibiotika/Antiinfektiva der Hauptgruppe 10 der Roten Liste allgemein und mangels entgegenstehender Festschreibung im Warenverzeichnis ohne Be­schränkung auf eine Rezeptpflicht, bestimmte Darreichungsformen oder enthalte­ne Wirkstoffe auszugehen. Die angegriffene Marke beanspruche Schutz für „Arzneimittel mit dem Wirkstoff Roxythromycin“ und damit ebenfalls für Antibiotika der Hauptgrup­pe 10. Ob durch die Entscheidung des BGH GRUR 2066, 937 „Ichthyol II“ eine Einschränkung der Grundsätze der „erweiterten Minimallösung“ dahingehend erfolgt sei, dass die Marke nur noch für die Waren als eingetragen gelte, für die sie konkret benutzt werde, erscheine nach Auffassung des Senats sehr zweifelhaft, bedürfe aber vorliegend im Hinblick auf die zugunsten der Widersprechenden unterstellte Warenidentität kei­ner abschließenden Erörterung und Entscheidung.

Dies gilt auch für die Frage, ob trotz der fehlenden Festschreibung einer Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen beider Marken verstärkt auf den im Um­gang mit Arzneimittel sorgfältigeren Fachverkehr abzustellen sei, weil es sich bei den in Hauptgruppe 10 der Roten Liste aufgeführten Antibiotika ganz überwiegend um rezeptpflichtige und ansonsten apothekenpflichtige Präparate handele und die Widerspruchsmarke tatsächlich auch für ein rezeptpflichtiges Präparat benutzt werde.

Denn auch wenn man insoweit ohne weitere Sachprüfung zugunsten der Wider­sprechenden neben dem Fachverkehr auch die allgemeinen Verkehrskreise be­rücksichtige und daher für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr auch der Mar­kenvergleich in klanglicher Hinsicht entscheidungsrelevant bleibe, scheide vorlie­gend eine Verwechslungsgefahr trotz der insgesamt strengen Anforderungen an den Markenabstand aus.

Die beiden Markenwörter würden sich in klanglicher Hinsicht ihrem jewei­ligen Gesamteindruck nach noch hinreichend unterscheiden. Sie stimmten zwar in der Anfangssil­be „RO“ sowie der Lautfolge „mycin“ überein. Jedoch wiesen beide Markenwörter markante Unterschiede in den konsonantischen Anlauten „x“ bzw. „V“ der jeweils zweiten Silbe sowie den nachfolgenden Vokalen „i“ und „A“ auf, die selbst bei un­günstigeren Übermittlungsbedingungen nicht unbemerkt blieben. So hebe sich die zweite Silbe „xi“ der angegriffenen Marke mit dem klangstarken, wie „ks“ ausge­sprochenen Konsonant „x“ und dem nachfolgenden, kurz und hell anklingenden Vokal „i“ deutlich und unüberhörbar von der zweiten Silbe „VA“ der Widerspruchs­marke ab, welche mit dem Lippenlaut „V“ und dem gedehnt gesprochenen Vo­kal „A“ einen eher weichen Klangcharakter aufweise. Der klangstarke Konso­nant „X“ wirke sich bei der angegriffenen Marke auf das Klangbild der Anfangssil­be „Ro“ auch insoweit aus, als bei einer regelmäßig zu erwartenden harten Aus­sprache wie „Rok-si“ der Vokal „o“ kurz und offen, in der Anfangssilbe der Wider­spruchsmarke aufgrund der nachfolgenden Silbe „VA“ hingegen eher geschlossen und gedehnt gesprochen werde. Dies führe auch zu einer deutlicheren klanglichen Zäsur zwischen den Anfangssilben der angegriffenen Marke als dies bei der Wi­derspruchsmarke der Fall sei. Zudem bestehe nach Auffassung des Senats für in­ländische Verkehrskreise auch kein Anlass, den Endlaut „E“ der Widerspruchs­marke bei mündlicher Wiedergabe französischen Sprachregeln folgend völlig zu vernachlässigen, da sich im Arzneimittelbereich ein französischer Sprachgebrauch nicht feststellen lasse. Beide Marken wiesen dann aber selbst bei einer verschliffe­nen Aussprache des Endkonsonanten „E“ wahrnehmbare Abweichungen in der Silbenzahl auf.

Diese Unterschiede würden im Gesamtklangbild beider Marken um so deutlicher hervor treten, als es sich bei der gemeinsamen Lautfolge „mycin(e)“ um ein in Arzneimit­telkennzeichnungen vielfach verwendetes, kennzeichnungsschwaches Wortbil­dungselement mit der Bedeutung „von Pilzen u. ä. Mikroorganismen stammendes Antibiotikum“ handele. Wenngleich solche warenbeschreibenden Wortbestandteile bei der Prüfung des maßgebenden Gesamteindrucks der Zeichen nicht gänzlich unbe­rücksichtigt bleiben dürften, könne ihnen aufgrund ihrer Kennzeichnungsschwäche nur eine geringe Bedeutung für den Gesamteindruck der Markenwörter zukommen. Der Verkehr werde in solchen Fällen die übrigen Wortbestandteile stärker beachten und diese als für die Identifikation und Kennzeichnung der Produkte wesentliche Bestandteile ansehen. Dies gelte hier um so mehr, als sich nicht nur Fachkreise wegen der ihnen geläufigen Bedeutung von „mycin“ insbesondere an den Anfangsbestandteilen der Markenwörter orientieren würden, sondern auch nicht fachkundige Verbraucher. Denn auch medizinischen Laien werde der zur Kennzeichnung von Antibiotika sehr häufig in Drittmarken verwendete Bestandteil „-mycin“ oftmals als ein bei entspre­chenden Präparaten unterschiedlicher Unternehmen verwendeter Markenbestand­teil oder Teil einer Wirkstoffbezeichnung bekannt sein, auch wenn sich die genaue (beschreibende) Bedeutung regelmäßig nur dem Fachmann erschließe.

Angesichts dieser Kennzeichnungsschwäche des Bestandteils „mycin(e)“ reichten dann aber die selbst bei etwas undeutlicherer Aussprache der Wörter deutlichen vernehmbaren Unterschiede zwischen den Wortbestandteilen „Roxi“ bzw. „ROVA“ noch aus, um auch bei Berücksichtigung einer nicht zeitgleichen Wahrnehmung und eines erfahrungsgemäß häufig undeutlichen Erinnerungsbildes eine klangliche Verwechslungsge­fahr im markenrechtlich relevanten Umfang noch auszuschließen, zumal auch bei den hier mangels festgeschriebener Rezeptpflicht zu berücksichtigenden allgemei­nen Verbraucherkreisen grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Wa­re befassenden, sondern entsprechend dem Verbraucherleitbild des EuGH auf ei­nen normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen sei, des­sen Aufmerksamkeit je nach Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein könne, der jedoch allem, was mit der Gesundheit zu tun hat, aufmerksamer begegne als bei vielen anderen Produkten des täglichen Lebens.

Auch in schriftbildlicher Hinsicht unterschieden sich beide Marken in allen ver­kehrsüblichen Wiedergabeformen trotz ihrer Übereinstimmung in insgesamt sie­ben Buchstaben durch die unterschiedliche Umrisscharakteristik der jeweils zweiten Wortsilben „xi“ bzw. „VA“ – wobei insbesondere die Vokale „i“ und „A“ markant voneinander abweichen würden – sowie den zusätzlichen und damit eine unter­schiedliche Länge der beiden Markenwörter begründenden Vokal „E“ am Worten­de der Widerspruchsmarke noch so deutlich, dass unter Beachtung der auch in­soweit bedeutsamen Kennzeichnungsschwäche des gemeinsamen Bestandteils „mycin“ nicht mit schriftbildlichen Verwechslungen in einem markenrechtlich rele­vantem Umfang zu rechnen sei. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch, dass die handschriftliche Markenwiedergabe mit einer im Vergleich zur Ma­schinenschrift unter Umständen etwas undeutlicheren Markendarstellung bei pharmazeutischen Kennzeichnungen eine immer geringere Rolle spiele. Einer schriftbildlichen Verwechslungsgefahr wirke zudem entgegen, dass das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestatte als das schnell verklingende gespro­chene Wort.

Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die sich gegenüber stehenden Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht würden. Der Verkehr werde die angegriffene Marke nicht als Serienzeichen der Widersprechenden ansehen, da die zudem nur klanglich identischen Bestandteile „mycin(e)“ als auf die Inhalts­stoffe von Antibiotika hinweisende und damit beschreibende Bestandteile nicht ge­eignet seien, als Stammbestandteil einer Zeichenserie der Widersprechenden zu wirken.

Die Zeichen seien daher in keiner Richtung verwechselbar, so dass die Beschwer­de der Widersprechenden keinen Erfolg haben konnte.

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