Bindung des HABM an die nationale Eintragung
Nach Auffassung des Gerichtshof darf das über den Widerspruch entscheidende Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) bzw. das die Entscheidung überprüfende Gericht keine Feststellungen in Bezug auf die Eintragungsfähigkeit, insbesondere zur möglicherweise fehlenden Unterscheidungskraft der Widerspruchsmarke treffen (Gerichtshof, Urt. v. 24.05.2012, Rs. C 196/11 P, F1/F1 LIVE). In den Entscheidungsgründen heißt es hierzu wie folgt:
„40 Aus der Koexistenz der Gemeinschaftsmarken und der nationalen Marken sowie aus der Tatsache, dass für die Eintragung Letzterer nicht das HABM und für ihre gerichtliche Kontrolle nicht das Gericht zuständig ist, folgt, dass die Gültigkeit nationaler Marken in einem Verfahren über einen Widerspruch gegen eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung nicht in Frage gestellt werden kann.
41 Im Rahmen eines solchen Widerspruchsverfahrens kann folglich im Hinblick auf ein Zeichen, das mit einer in einem Mitgliedstaat geschützten Marke identisch ist, auch kein absolutes Eintragungshindernis wie das Fehlen von Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinien 89/104 und 2008/95 festgestellt werden. Insoweit ist festzustellen, dass die Bezeichnung eines Zeichens als beschreibend oder als Gattungsbegriff gleichbedeutend mit dem Verneinen seiner Unterscheidungskraft ist.
42 Wie aus Randnr. 48 des angefochtenen Urteils hervorgeht, haben das HABM und folglich das Gericht, wenn gegen die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke ein auf eine ältere nationale Marke gestützter Widerspruch eingelegt wird, zwar zu prüfen, in welcher Weise die maßgeblichen Verkehrskreise das mit dieser nationalen Marke identische Zeichen in der Anmeldemarke auffassen, und gegebenenfalls den Grad der Unterscheidungskraft dieses Zeichens zu beurteilen.
43 Diese Prüfungen haben aber, wie die Rechtsmittelführerin zutreffend vorträgt, ihre Grenzen.
44 Diese Prüfungen dürfen nicht zur Feststellung fehlender Unterscheidungskraft bei einem Zeichen führen, das mit einer eingetragenen und geschützten nationalen Marke identisch ist, weil eine solche Feststellung weder mit der Koexistenz der Gemeinschaftsmarken und der nationalen Marken noch mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94, ausgelegt in Verbindung mit Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii dieses Artikels, vereinbar wäre.
45 Diese Feststellung würde die nationalen Marken beeinträchtigen, die mit einem Zeichen identisch sind, bei dem von einer fehlenden Unterscheidungskraft ausgegangen wird, weil die Eintragung einer solchen Gemeinschaftsmarke einen Sachverhalt darstellen würde, durch den der nationale Schutz dieser Marken aufgehoben werden könnte. Mit dieser Feststellung würde demnach das durch die Verordnung Nr. 40/94 geschaffene System, das auf der in deren fünftem Erwägungsgrund erwähnten Koexistenz der Gemeinschaftsmarken und der nationalen Marken beruht, nicht beachtet, da die Gültigkeit einer internationalen oder nationalen Marke mit der Begründung fehlender Unterscheidungskraft nur im Rahmen eines im betreffenden Mitgliedstaat nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinien 89/104 und 2008/95 angestrengten Nichtigkeitsverfahrens in Frage gestellt werden kann.“