THE O STORE vs. O STORE

Leitsatz
  1. Die Waren „Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind, nämlich …; Häute und Felle; Reisekoffer und -taschen; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren“ (Klasse 18), "Bekleidungsstücke, nämlich …; Kopfbedeckungen und Schuhwaren“ (Klasse 25) und die Dienstleistungen „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen“ sowie „Groß- und Einzelhandel für Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, Athletiktaschen, Reiserucksäcke, Tornister und Brieftaschen“ (Klasse 35) sind ähnlich, weil sie einander ergänzen und die Dienstleistungen im Allgemeinen an denselben Orten angeboten werden.
  2. Die oben genannten Waren und die Dienstleistungen „Groß- und Einzelhandel für Brillenerzeugnisse, Sonnenbrillen, optische Waren und Zubehör, Armband- und Taschenuhren, Zeitmesser, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Abziehbilder, Poster und Plakate“ (Klasse 35) sind hingegen nicht ähnlich.
  3. Die Marken THE O STORE und O STORE sind sehr ähnlich, da sie den identischen Bestandteil „O Store“ enthalten und der einzige Unterschied im Fehlen des nicht unterscheidungskräftigen Artikels „The“ besteht.

Aus dem Sachverhalt

Das angemeldete Wortzeichen O STORE schützt die Dienstleistungen „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen; Groß- und Einzelhandel für Brillenerzeugnisse, Sonnenbrillen, optische Waren und Zubehör, Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, Armband- und Taschenuhren, Zeitmesser, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Abziehbilder, Poster und Plakate, Athletiktaschen, Reiserucksäcke, Tornister und Brieftaschen“ (Klasse 35). Diese Marke wurde zunächst in das Register des Harmonisierungsamts gegen den Binnenmarkt (HABM) eingetragen.

Gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 (GMV) beantragte die Streithelferin die Nichtigerklärung der Gemeinschaftsmarke in Bezug auf sämtliche von der Eintragung umfassten Dienstleistungen.

Dieser Antrag war gestützt auf das Bestehen einer Verwechslungsgefahr zwischen der Gemeinschaftsmarke und der prioritätsälteren Wortmarke THE O STORE, die in Frankreich für folgende Waren der Klassen 18 und 25 der Nizzaer Klassifikation eingetragen worden war: „Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind, nämlich Koffer, leer verkaufte Kosmetikkoffer, Abendtaschen, Handtaschen, Einkaufstaschen, Rucksäcke, Mehrzweck-Sporttaschen, Geldbörsen mit Schnur, Geldbörsen mit Reißverschluss, Geldbörsen aus Filz, Dokumententaschen, Aktentaschen, Brieftaschen und Portemonnaies; Häute und Felle; Reisekoffer und -taschen; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren“ (Klasse 18); „Bekleidungsstücke, nämlich Anzüge, Hemden für Abendanzüge, Hosen, Jacken, Sportjacken, Pullover, Röcke, Hemdblusen, Wolljacken, Strickjacken, Überzieher, Mäntel, Capes, Sporttrikots, Blousons, Regenmäntel, Abendgarderobe, Fräcke, Schals, Stolen, Halstücher, Krawatten, Handschuhe, pelzgefütterte Jacken, pelzgefütterte Mäntel, pelzgefütterte Schals, Bermudashorts, T�Shirts, Polohemden, Hemdblusen-Kleider, Pareos, Pyjamas, Nachthemden, Morgenröcke, Bademäntel, Strümpfe, Socken, Unterröcke, Badeanzüge, Damenslips, Büstenhalter und Unterhemden; Kopfbedeckungen und Schuhwaren“ (Klasse 25).

Die Nichtigkeitsabteilung gab dem Antrag auf Nichtigerklärung in Bezug auf die Dienstleistungen „Groß- und Einzelhandel für Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, Athletiktaschen, Reiserucksäcke, Tornister und Brieftaschen“ statt, weil diese Dienstleistungen sich zwar ihrer Art, ihrem Bestimmungszweck und ihrer Verwendung nach von den von der älteren nationalen Marke erfassten Waren unterschieden, aber dieselben Vertriebskanäle wie diese haben könnten, und zweitens in Bezug auf „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen“, weil die Beschreibung dieser Dienstleistungen so allgemein gefasst sei, dass sie alle Arten von Waren einschließlich der von der älteren Marke beanspruchten Waren umfasse. Dagegen wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung in Bezug auf die Dienstleistungen „Groß- und Einzelhandel für Brillenerzeugnisse, Sonnenbrillen, optische Waren und Zubehör, Armband- und Taschenuhren, Zeitmesser, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Abziehbilder, Poster und Plakate“ zurück, weil sie der Auffassung war, dass für die Dienstleistungen im Rahmen des Einzelhandels mit diesen Waren nicht dieselben Vertriebskanäle genutzt würden wie für die von der älteren Marke umfassten Lederwaren und Bekleidungsstücke.

Gegen diese Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung legten die Klägerin, das HABM, und die Streithelferin, die Inhaberin der Gemeinschaftsmarke, Beschwerde ein.

Die Erste Beschwerdekammer (BK) bestätigte die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung und wies daher beide Beschwerden zurück.

Gegen diese Entscheidung klagten beide vor dem Europäischen Gericht erster Instanz (EuG).

Aus den Entscheidungsgründen

Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit

Was zunächst die Beurteilung der Ähnlichkeit zwischen den von der angegriffenen Gemeinschaftsmarke umfassten Dienstleistungen „Groß- und Einzelhandel für Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, Athletiktaschen, Reiserucksäcke, Tornister und Brieftaschen“ und den von der älteren Marke umfassten Waren, nämlich „Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, Rucksäcke, Mehrzweck-Sporttaschen, Brieftaschen“ angehe, so habe die BK die Auffassung vertreten, dass zwischen diesen Dienstleistungen und Waren wegen ihrer Art, ihres Verwendungszwecks, ihrer Nutzung, ihrer Vertriebskanäle und ihres einander ergänzenden Charakters große Ähnlichkeit bestehe. Dies sei im Ergebnis richtig.

Zunächst sei festzuhalten, dass die von der älteren Marke umfassten Waren, nämlich Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Mehrzweck-Sporttaschen, Rucksäcke und Brieftaschen mit den Waren, auf die sich die Dienstleistungen der Klägerin beziehen, identisch seien.

Ferner sei festzustellen, dass, zum einen, die Beziehung zwischen den Einzelhandelsdienstleistungen und den von der älteren Marke umfassten Waren durch einen engen Zusammenhang in dem Sinne gekennzeichnet seien, dass die Waren für die Erbringung der Dienstleistungen unerlässlich oder zumindest wichtig seien, da Letztere gerade beim Verkauf dieser Waren erbracht werden würden. Zum anderen sei die Beziehung zwischen den von der älteren Marke umfassten Waren und den Einzelhandelsdienstleistungen, die in Bezug auf mit den von der älteren Marke erfassten identische Waren erbracht werden, auch dadurch gekennzeichnet, dass diese Dienstleistungen aus Sicht des relevanten Verbrauchers eine bedeutende Rolle beim Kauf der angebotenen Waren spielen würden. Da die Einzelhandelsdienstleistungen, die – wie im vorliegenden Fall – Waren betreffen würden, die mit den von der älteren Marke umfassten Waren identisch seien, mit den Waren in engem Zusammenhang stehen würden, sei folglich festzustellen, dass diese Dienstleistungen und diese Waren einander ergänzen würden. Diese Dienstleistungen könnten somit nicht im Verhältnis zu den in Rede stehenden Waren lediglich Hilfs- oder Zubehörcharakter haben.

Obwohl die von der BK getroffene Feststellung, dass die in Rede stehenden Dienstleistungen und Waren nach Art, Verwendungszweck und Benutzung übereinstimmen, unzutreffend gewesen sei, würden die Dienstleistungen und Waren somit im Hinblick auf die Tatsache, dass sie einander ergänzten und dass die Dienstleistungen im Allgemeinen an denselben Orten angeboten, an denen die Waren zum Verkauf angeboten werden würden, unbestreitbar Ähnlichkeiten aufweisen. Aus allem Vorstehenden ergebe sich daher, dass die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen einander zu einem gewissen Grad ähnlich seien, so dass die in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Feststellung, dass eine solche Ähnlichkeit bestehe, zu bestätigen sei.

Was sodann den Vergleich der „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen“ mit den in Rede stehenden Waren anbelange, so sei daran zu erinnern, dass der EuGH im Urteil Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte entschieden habe, dass vom Anmelder einer Gemeinschaftsmarke zu verlangen sei, dass er die Waren oder die Arten von Waren, auf die sich diese Dienstleistungen beziehen, konkretisiere. Hierzu sei festzustellen, dass die Klägerin, wie die BK zutreffend ausgeführt habe, die Waren oder die Arten von Waren, auf die sich die „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen“ beziehen würden, nicht konkretisiert habe. Die „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen“ könnten aber, da der Wortlaut dieser Beschreibung sehr allgemein gefasst sei, alle Waren einschließlich derjenigen betreffen, die von der älteren Marke erfasst würden. Daher sei festzustellen, dass die „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen“ Ähnlichkeit mit den betreffenden Waren aufweisen würden.

Nach alledem habe die BK zu Recht angenommen, dass die Dienstleistungen „Groß- und Einzelhandel für Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, Athletiktaschen, Reiserucksäcke, Tornister und Brieftaschen“ sowie „Groß- und Einzelhandelsdienstleistungen einschließlich Online-Einzelhandelsdienstleistungen“ den von der älteren Marke umfassten Waren ähnlich seien.

Demgegenüber bestehe keinerlei Ähnlichkeit zwischen insbesondere den im Rahmen des Einzelhandels mit Brillen erbrachten Dienstleistungen einerseits und Bekleidung und Lederwaren andererseits. Die ältere Marke umfasse weder unmittelbar noch mittelbar Waren, die ähnlich wären mit „Brillenerzeugnissen, Sonnenbrillen, optischen Waren und Zubehör, Armband- und Taschenuhren, Zeitmessern, Juwelierwaren, Schmuckwaren, Abziehbildern, Postern und Plakaten“.

Das Vorbringen der Streithelferin, Brillen, Juwelierwaren und Armbanduhren könnten Bekleidungsartikeln ähnlich sein oder als Ergänzung zu diesen angesehen werden, könne nicht durchgreifen, da das Verhältnis zwischen diesen Waren, wie das HABM zu Recht festgestellt habe, zu mittelbar sei, um als ausschlaggebend angesehen zu werden. Es sei nämlich daran zu erinnern, dass ein gewisses Harmoniebestreben bei Bekleidung ein durchgehendes Charakteristikum der gesamten Mode- und Bekleidungsbranche sei und damit ein zu allgemeiner Faktor, um allein den Schluss zu rechtfertigen, die betreffenden Waren seien zueinander komplementär und aus diesem Grund einander ähnlich. Somit könnten die Waren, auf die sich die fraglichen Einzelhandelsdienstleistungen beziehen würden, und die von der älteren Marke umfassten Waren nicht als ähnlich im Lichte der Kriterien angesehen werden, die der Gerichtshof im Urteil Canon aufgestellt habe. Hierzu sei festzustellen, dass eine auf Brillen bezogene Beratung nicht als Ergänzung zu Bekleidungsstücken angesehen werden könne. Darüber hinaus unterschieden sich die Vertriebskanäle der in Rede stehenden Einzelhandelsdienstleistungen von denen der betroffenen Waren. Wie das HABM zu Recht festgestellt habe, würden die Verbraucher zudem nicht erwarten, dass ein Hersteller von Bekleidung und Lederwaren direkt oder indirekt Verkaufsstätten für Brillenerzeugnisse, Sonnenbrillen oder optische Waren unterhalten, die nicht mit seiner Haupttätigkeit in Verbindung stehen würden.

Resümee

Soweit ersichtlich, ist dies die erste höchstrichterliche Entscheidung, in der es darum ging, ob und wenn ja, welchen „Waren“ mit „Einzelhandelsdienstleistungen im Sinne der Praktiker-Entscheidung des EuGH“ ähnlich sein können oder nicht. Das EuG hat dies (zumindest) für die Waren bejaht, die identisch mit den Waren sind, auf die sich die Einzelhandelsdienstleistungen beziehen.

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